Хелпикс

Главная

Контакты

Случайная статья





 KAPITEL 11



       In der Sonnenhitze verströ mt der trocknende Zement einen Geruch, der genauso verfü hrerisch ist wie der von frischgebackenem Brot. Ich mische Sand und Zement in der Metallwanne und trage den Mö rtel dann eimerweise auf das Gerü st hinauf. Dort streife ich mit der Kelle etwas Mö rtel auf ein etwa dreiß ig Quadratzentimeter groß es Holzbrett, das ich in der Abstellkammer gefunden habe. Den Mö rtel schmiere ich in die Ritzen, die ich zwischen dem Mauerwerk in den Putz gehauen habe.

       Das Verputzen der Wand ist eine gemä chliche, merkwü rdig ruhige Arbeit. Es hat etwas Befriedigendes, wie die Kelle flü sternd ü ber den feuchten Mö rtel gleitet, um den Putz zu glä tten. So komme ich Schritt fü r Schritt voran, verputze die ganze Wand neu und setze die lockeren Steine wieder ein. Jeder muss wieder an seinen Platz gewuchtet und anschließ end ringsum mit Mö rtel befestigt werden, bis er sich nicht mehr von den umliegenden Steinen unterscheidet. In den Tagen seit meinem Besuch in der Stadt hat das obere Stockwerk langsam Gestalt angenommen und sieht wie ein richtiges Gebä ude aus und nicht wie eine Ruine kurz vor dem Einsturz. Jeden Abend, wenn ich mit der Arbeit aufhö re, erfü llt mich Stolz, wie viel ich schon geschafft habe. Es ist lange her, seit ich das letzte Mal etwas Konstruktives gemacht habe.

       Es ist sogar noch lä nger her, dass ich etwas gemacht habe, worauf ich stolz sein kann.

       Ich verarbeite den letzten Mö rtel und nehme den Eimer mit nach unten in den Abstellraum, um ihn aufzufü llen. Die Nachmittagssonne brennt heiß und wä scht mit stumpfsinniger Hitze das Blau vom Himmel. Ich kann mir diesen Landstrich ü berhaupt nicht im Winter vorstellen, wenn alles ringsum braun und sprö de oder von einer dü nnen Frostschicht bedeckt ist. Aber ich weiß, dass es frü her oder spä ter dazu kommen wird.

       Der letzte Rest Mö rtel in der Zinkwanne ist hart geworden. Ich kratze ihn heraus, kippe ihn auf den Berg vor der Abstellkammer und beschließ e, mir eine Pause zu gö nnen, ehe ich den nä chsten anrü hre. Also setze ich mich im Schatten der Scheune hin und zü nde mir eine Zigarette an. Von hier unten sieht man deutlich, wie viel Arbeit noch auf mich wartet. Das Wissen ist irgendwie beruhigend. Ich nehme noch einen Zug und denke ü ber die Arbeit nach.

       «Ich bezahle Sie nicht dafü r, dass Sie hier auf Ihrem Arsch sitzen. »

       Arnaud kommt um die Scheunenecke. Ich nehme ohne Eile noch einen Zug von der Zigarette. «Bisher haben Sie mich noch gar nicht bezahlt. »

       «Was sind drei Mahlzeiten am Tag und ein Dach ü ber Ihrem Kopf denn dann? Den Rest kriegen Sie, wenn Sie ihn sich verdient haben. » Er schaut mit zusammengekniffenen Augen an der Fassade hoch. Der fertiggestellte Bereich sieht plö tzlich viel kleiner aus als noch vor wenigen Augenblicken. «Nicht viel geschafft, was? »

       «Ich will es ordentlich machen. »

       «Ordentlich? Das ist nur eine Wand, nicht die Venus von Milo. »

       Ich bin kurz davor, ihn darauf hinzuweisen, dass er sich auch jemanden aus der Stadt holen kann, der das fü r ihn erledigt, aber ich kann mich gerade noch bremsen. Obwohl wir nicht ü ber das geredet haben, was in der Stadt mit Didier und seinen Freunden vorgefallen ist, bin ich sicher, dass Arnaud ü ber Mathilde oder Gretchen davon gehö rt hat.

           

       Mathilde hat mich nach meiner Rü ckkehr gefragt, woher das blaue Auge kam, das ich Didiers Faust verdankte. Wie es ihre Art war, enthielt sie sich eines Kommentars, doch sie wirkte erschü ttert, als ich ihr Jean-Claudes Nachricht ü berbrachte. Ebenso vorhersehbar war Gretchens Reaktion: Sie freute sich, dass ich in einen Kampf verwickelt worden war. Erst recht, als sie erfuhr, mit wem ich mich geprü gelt hatte.

       «Was hat Didier gesagt? Hat er mich erwä hnt? »

       «Nein, eigentlich nicht. » Es wü rde ihr bestimmt nicht gefallen, wenn sie erfuhr, womit er prahlte. «Ist er ein Exfreund von dir? »

       «Ach nein. Nur jemand, mit dem ich mich manchmal treffe. » Sie zuckte neckisch mit den Schultern. «Ich habe ihn aber schon eine ganze Weile nicht gesehen. Vermutlich ist er eifersü chtig und hat deshalb Streit mit Ihnen gesucht. »

       Das bezweifelte ich, aber so langsam hatte ich eine Vermutung, warum das Tor offen gestanden hat, als ich das erste Mal zum Hof kam. Es muss fü r Gretchen schwierig sein, sich mit den Jungs aus dem Ort zu treffen, wenn Arnaud auf sie aufpasst. Und ich bezweifle, dass ihr Vater es gut aufnimmt, falls er davon erfä hrt.

       «Ich habe eher den Eindruck, es hat was mit deinem Vater zu tun», sagte ich. «Was hat er gemacht, um alle gegen sich aufzubringen? »

       «Papa hat gar nichts getan. Die sind schuld», erwiderte sie schon wieder missmutig.

       Seitdem hat keiner den Vorfall mehr erwä hnt. Wenn nicht das blaue Auge wä re, hä tte es auch gar nicht passiert sein kö nnen. Aber ich bin inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass dieser Hof unliebsame Ereignisse einfach absorbiert und sich darü ber schließ t wie das Wasser um die Steine, die ich in den See werfe.

       Ein paar Wellen breiten sich kreisfö rmig aus, danach ist alles wieder ruhig.

           

       Arnaud hat sich die Wand inzwischen genauer angeschaut und wendet sich mir jetzt zu. «Das kann auch noch eine Weile warten. Kommen Sie. »

       «Wohin? »

       Aber er marschiert schon los. Ich verharre noch einen Moment, dann gebe ich nach und folge ihm. Er ü berquert den Innenhof zu den Stä llen und verschwindet hinter dem Traktor, der einen der Torbogen blockiert. Als ich mich selbst an dem Traktor vorbeiquetsche, hat er bereits etwas vom Haken an der rü ckwä rtigen Wand genommen.

       «Fä hrt das Ding hier ü berhaupt noch? », frage ich und reibe meinen Ellenbogen dort, wo ich ihn mir an der Karosserie des Traktors gestoß en habe.

       Seine Stimme kommt vom Ende des Stallgebä udes. «Nicht mehr, seit jemand Zucker in den Tank gefü llt hat. »

       «Wer macht denn so was? »

       «Ihre Visitenkarte haben sie nicht dagelassen. »

       Ich denke an Didier und ü berlege, ob das der Grund fü r die Fangeisen ist. «Kö nnen Sie den Tank nicht leeren? »

       Arnaud taucht wieder auf. Er trä gt etwas, aber es ist zu dunkel, um zu erkennen, worum es sich handelt. «Kennen Sie sich mit Motoren aus? »

       «Eigentlich nicht. »

       «Dann stellen Sie keine dummen Fragen. »

       Er kommt nä her, und ich erkenne, dass er eine Kettensä ge trä gt. Ein riesiges, ö lverschmiertes Ding mit langem Sä geblatt und gezackten Zä hnen. Ich mache einen Schritt zurü ck, aber er steuert damit auf einen Benzinkanister zu. Er schraubt den Deckel vom Tank ab und beginnt, Benzin einzufü llen.

       «Was haben Sie denn damit vor? », frage ich. Die Luft stinkt nach Benzin.

       «Wir mü ssen Feuerholz schlagen. »

       «Im Sommer? »

       «Grü nes Holz braucht viel Zeit, bis es richtig durchgetrocknet ist. »

       Ich blicke durch den Torbogen zum Haus hinü ber. «Was wird aus der Wand? »

       «Die wird schon noch da sein, wenn Sie zurü ckkommen. » Er fü gt aus einem anderen Kanister Ö l hinzu, dann verschließ t er den Tank wieder und hebt die Kettensä ge mit einer Hand hoch. «Sie nehmen die Schubkarre. »

       Neben einer Werkbank steht eine Schubkarre. Ich schaffe es irgendwie, sie mü hselig an dem Traktor vorbeizumanö vrieren, und stelle sie ab, damit Arnaud die Kettensä ge hineinwerfen kann. Ich habe das ungute Gefü hl zu wissen, was als Nä chstes kommt. Und er enttä uscht mich nicht.

       «Sie schieben die Karre. »

       Mit diesen Worten verlä sst er den Stall und ü berlä sst es mir, ihm zu folgen. Ich lege meinen Gehstock in die Schubkarre und packe die Griffe. Die schwere Kettensä ge sorgt fü r ein Ungleichgewicht, und als ich die Schubkarre wieder anhebe, kippt sie beinahe um. Rasch stelle ich sie wieder ab und schiebe die Kettensä ge in die Mitte. Dann humple ich ungeschickt hinter Arnaud her.

       Er ü berquert den Innenhof und geht durch den Weingarten Richtung Wald. Ich hole ihn erst ein, als er auf einer kleinen Lichtung in der Nä he der Statuen stehen bleibt. Kleinere Baumstü mpfe stehen zwischen den dickeren Stä mmen und sehen aus wie abgebrochene Zä hne. Er knetet mit schmerzverzerrtem Gesicht seinen Rü cken und geht zu einem Baum, wä hrend ich die Schubkarre absetze.

       «Hier», sagt er und tä tschelt den Stamm. «Den nehmen wir. »

       Es ist eine junge Silberbirke, die zwischen den stä mmigen Kastanien genug Platz zum Wachsen gefunden hat. Ich blicke Arnaud missmutig an, als er die Pfeife aus der Tasche nimmt und anfä ngt, sie zu stopfen. «Was soll ich jetzt machen? »

       «Die Birke fä llen, was denken Sie denn? »

       «Sie wollen, dass ich das mache? »

       «Ich habe Sie jedenfalls nicht zum Zugucken mitgenommen. Was ist los? Sagen Sie mir jetzt nicht, dass Sie noch nie eine Kettensä ge bedient haben. »

       «Ja. Ich meine, nein. »

       «Dann lernen Sie es jetzt. Denken Sie nur daran, immer die ganze Schneide zu benutzen. Wenn Sie nicht aufpassen, werden Sie gefä llt und nicht der Baum. » Er grinst mich schief an. «Wir wollen ja nicht noch mehr Unfä lle, richtig? »

       Ich klammere mich an die erstbeste Ausrede, die mir einfä llt. «Sind wir nicht zu dicht bei den Statuen? »

       «Bisher habe ich die nie erwischt. Und wenn Sie es richtig anstellen, passiert diesmal auch nichts. » Er tritt etwa fü nfundvierzig Zentimeter ü ber dem Boden gegen den Stamm. «Sie mü ssen ungefä hr hier schneiden. Zwei Schnitte, die ein V ergeben. Sä gen Sie nicht vollstä ndig durch den Stamm. Gott weiß, wo der sonst landet. »

       Arnaud tritt beiseite und hockt sich auf einen Baumstumpf. Die Motorsä ge liegt zwischen uns in der Schubkarre neben meinem Gehstock. Aber wenn ich meinen Fuß als Ausrede benutzen will, hä tte ich das vorher tun mü ssen, ehe ich die Schubkarre so weit geschoben habe. Arnaud macht eine gereizte Geste.

       «Worauf warten Sie noch? Der Baum beiß t nicht. »

       Widerwillig bü cke ich mich und hebe die Kettensä ge auf. Sie ist genauso schwer, wie sie aussieht, und ganz schmierig von dem Ö l. Ich halte sie misstrauisch in den Hä nden und erwarte fast, sie kö nne ohne mein Zutun zum Leben erwachen. Weil ich mir bewusst bin, dass Arnaud mich genau beobachtet, straffe ich mich und ziehe an dem Starter. Nichts passiert.

       «Wie wä r’s mit Einschalten? », sagt Arnaud, der die Situation offensichtlich genieß t.

       An der Seite ist ein Kippschalter. Ich drü cke ihn und ziehe wieder an der Schnur. Diesmal gibt der Motor rö chelnde Gerä usche von sich und verstummt wieder.

       «Sind Sie sicher, dass die geht? », frage ich.

       «Die geht. »

       Wieder packe ich die Schnur und reiß e mit aller Kraft daran. Die Sä ge rattert unregelmä ß ig, als sie zum Leben erwacht, dann beruhigt sie sich und surrt laut, aber gleichmä ß ig vor sich hin.

       Der Motor ist geradezu ohrenbetä ubend. Die Sä ge bebt in meinen Hä nden, und das Sä geblatt schwirrt, als ich an den Baum herantrete. Er ist schlank, und die zarten Blä tter schimmern wie durchsichtige, grü ne Mü nzen vor der silbrigen Borke. Ich senke die Motorsä ge an der Stelle, die Arnaud mir gezeigt hat, bringe es aber nicht ü ber mich, sie anzusetzen.

       «Machen Sie schon! », brü llt Arnaud ü ber den Lä rm.

       Ich verlagere mein Gewicht, damit ich stabil stehe, ohne zu viel Gewicht auf meinen verletzten Fuß zu stü tzen. Dann atme ich tief durch und setze die Motorsä ge an die Borke.

       Das Surren der Sä ge wird zu einem Brü llen. Weiß e Holzsplitter und Rindenstü ckchen spritzen hoch, und instinktiv weiche ich zurü ck. Die Sä ge verstummt zu einem Knurren. Ich stelle mir Arnauds Grinsen vor und wage mich wieder vor.

       Die Sä ge bebt, wä hrend sie sich durch das Holz frisst. Ich spanne meinen Kö rper an, kneife die Augen zusammen, um nichts von den Holzstü ckchen und dem Sä gemehl abzubekommen, die vor meinem Gesicht aufspritzen. Ich setze einen v-fö rmigen Schnitt, wie Arnaud ihn will, und trete den Keil heraus. Ich habe keine Ahnung, ob ich das richtig mache, aber ich will auf keinen Fall Arnaud fragen. Ich setze gerade zum nä chsten nach oben gerichteten Schnitt an, als der Baum ä chzt und sich zur Seite lehnt.

       Schnell trete ich zurü ck. Ein Splittern, dann taumelt die Silberbirke und knallt zu Boden, wo sie noch einmal nach oben wippt und dann zur Ruhe kommt. Wie von Arnaud vorhergesehen, ist der Baum in sicherer Entfernung von den Statuen runtergekommen. Ich bin jetzt doch irgendwie von meiner Arbeit beeindruckt.

       Er zeigt auf den Griff der Sä ge, und ich halte sie dort fest. Das Motorgerä usch wird leiser, als ich die Kupplung drü cke.

       «Na also», grinst Arnaud. «Das war doch gar nicht so schwer, oder? »

           

       Ich stutze die Ä ste und beginne dann, den Stamm so zu zerteilen, dass man ihn transportieren kann. Die Lichtung sieht bald schon wie ein Holzplatz aus. Ü berall fliegen Sä gespä ne herum wie Konfetti. Wä hrend ich dem Stamm zu Leibe rü cke, sammelt Arnaud die verstreuten Ä ste auf und sortiert sie grob nach Grö ß e. Bis auf die kleinsten kö nnen die meisten als Fidibus verwendet werden.

       Von der Arbeit wird mir heiß, und schon bald habe ich den Overall bis zur Taille runtergekrempelt und die Ä rmel zusammengebunden. Sogar Arnaud ö ffnet sein Hemd und entblö ß t dabei einen Oberkö rper, der so haarlos und bleich wie Milch ist, verglichen mit dem Nussbraun von Gesicht und Hals. Eine Welle sä uerlichen Schweiß es steigt von ihm auf. Unsere Kommunikation beschrä nkt sich auf Gesten und Zeichen. Das Heulen der Motorsä ge hallt weit hö rbar durch den Wald, wä hrend wir den Baum entasten.

       Schließ lich ist es geschafft. Ich schalte die Motorsä ge in den Leerlauf und schalte sie endlich aus. Der Motor verstummt stotternd.

       Die plö tzliche Stille fü hlt sich zu schwer an, der Wald trä gt sie nicht. Jedes Gerä usch scheint durch die Stille verstä rkt zu werden.

       «Machen wir eine Pause», schlä gt Arnaud vor.

       Ich stelle die Sä ge ab und plumpse auf den Boden, lehne mich gegen eine Statue. Meine Haut ist von Ö lspritzern und Sä gespä nen ü bersä t. Arnaud verzieht schmerzlich das Gesicht, als er sich wieder auf dem Stumpf niederlä sst, auf dem er vorhin schon gehockt hat.

       «Was ist mit Ihrem Rü cken passiert? », frage ich.

       «Ich bin die Treppe runtergefallen. » Er lä chelt humorlos. «So wie Sie. »

       Ich hoffe, es hat richtig weh getan, denke ich und ziehe die Zigaretten aus der Tasche. Er klopft seine Pfeife aus und beginnt, sie zu stopfen, wä hrend ich in dem Overall, der mir um die Hü ften hä ngt, nach meinem Feuerzeug taste. «Feuer? »

       Arnaud wirft mir eine Schachtel Streichhö lzer zu, die ich ü berrascht auffange. «Danke. »

       Ich zü nde mir die Zigarette an und genieß e den Moment, als das Nikotin durch meine Blutbahn schieß t und die Muskeln sich langsam entspannen. Ich hö re, wie Arnaud genü sslich an seiner Pfeife schmaucht und die Luft leise durch den Pfeifenkopf zieht. Der erste Vogel riskiert einen zaghaften Ruf. Langsam kehrt das Leben im Wald zur Normalitä t zurü ck. Ich ziehe an der Zigarette und lege den Kopf in den Nacken.

       Ich hö re Arnaud leise lachen. «Was ist? », frage ich.

       «Ich habe nur gerade Ihre Nackenstü tze bewundert. »

       Ich drehe mich um und stelle fest, dass ich mich gegen die Statue des Pan gelehnt habe. Der Schritt des heidnischen Gotts ist direkt hinter meinem Kopf.

       Ich lehne mich wieder dagegen. «Wenn’s ihm nichts ausmacht, stö rt’s mich auch nicht. »

       Arnaud schnaubt, aber er scheint seinen Spaß zu haben. Er nimmt die Pfeife aus dem Mund und klopft den Pfeifenkopf gegen seine Schuhsohle. Dann kratzt er die Asche mit dem Fuß unter die Erde, aber er steckt die Pfeife nicht weg. «Was glauben Sie, wie viel die wert sind? », fragt er plö tzlich.

       Fü r einen Augenblick denke ich, er meint die Bä ume, aber dann realisiere ich, dass er ü ber die Statuen redet.

       «Keine Ahnung. »

       «Nein? Sie sind doch so klug. Ich dachte, Sie wissen alles. »

       «Jedenfalls nicht ü ber geklaute Statuen. »

       Arnaud zieht ein Taschenmesser mit kurzer Schneide heraus und beginnt, den Pfeifenkopf auszukratzen. «Wer hat behauptet, dass sie geklaut sind? »

       «Sie wü rden sie wohl kaum hier unten im Wald verstecken, wenn es nicht so wä re. » Ich werde ihm nicht verraten, dass ich das von Gretchen weiß. «Warum haben Sie sie nicht verkauft? »

       «Warum kü mmern Sie sich nicht um Ihren eigenen Kram? » Er wü hlt mit dem Messer im Pfeifenkopf, aber lä sst beides nach einem Moment wieder sinken, als habe er vergessen, was er damit wollte. «Ist nicht so einfach. Man muss vorsichtig sein, wem man die Dinger anbietet. »

       Sehr vorsichtig sogar, denke ich. Nach dem Gras zu urteilen, das die Statuen ü berwuchert, stehen sie schon einige Zeit hier. «Wenn Sie keine Kä ufer dafü r haben, wieso haben Sie dann so viele davon? »

       «Ich hatte einen … Geschä ftspartner. Er meinte, er wü rde einen Hä ndler kennen, der sie uns fö rmlich aus den Hä nden reiß en wü rde. »

       Ich drü cke meine Zigarette aus. «Was ist passiert? »

       Arnaud kneift den Mund verbittert zusammen. «Er hat mich hä ngenlassen. Hat mein Vertrauen missbraucht. »

       Es ist fast dieselbe Formulierung, die Gretchen in Bezug auf Michels Vater benutzt hat. Ich wü rde all mein Geld darauf setzen, dass er und dieser «Geschä ftspartner» ein und derselbe Mann sind, nä mlich der Mann, dessen dreckigen Overall ich im Moment trage. Kein Wunder, dass sie nicht ü ber ihn reden wollen.

       «Und warum werden Sie die Dinger nicht einfach los? », frage ich.

       Er schnaubt. «Wenn Sie die mal hochheben wollen, tun Sie sich keinen Zwang an. »

       «Sie haben es schließ lich auch geschafft, sie hierherzubringen. »

       «Wir hatten eine Hebevorrichtung. »

       «Sie meinen, Ihr Partner hatte eine. »

       Arnaud nickt erbost. Er betrachtet erneut den Pfeifenkopf. «Ich dachte, Sie hä tten vielleicht eine Idee. Irgendwelche Kontakte. »

       «Was sollen das fü r Kontakte sein? »

       «Solche, die sich nicht dafü r interessieren, woher die Statuen kommen. Es muss doch einen Haufen reiche englische Scheiß kerle geben, die fü r so was Geld bezahlen. » Als er mich ansieht, ist ein gerissenes Funkeln in seinen Augen. «Fü r Sie wü rde auch was dabei rausspringen. »

       «Tut mir leid, aber ich kenne niemanden. »

       Sein Blick verfinstert sich. «Ich hä tte wissen mü ssen, dass Sie nicht von Nutzen sein werden. »

       Ich kann nicht anders. «Dieser Geschä ftspartner. Kam von ihm auch der Vorschlag, Wein anzubauen? »

       Arnauds Blick genü gt mir als Antwort. Er klappt das Messer zu und rammt es in die Hosentasche, wä hrend er ungeschickt wieder auf die Beine kommt.

       «Sie kö nnen jetzt das Holz zum Hof transportieren. »

       «Alleine? Wie denn? » Ich schaue auf den Berg aus Holz. Es war schon schwer genug, die Schubkarre mit der Motorsä ge darin hier runterzubringen.

       Er lä chelt grimmig. «So ein Klugscheiß er wie Sie wird sich schon was ausdenken. »

           

       Es ist frü her Abend, bis ich endlich alles Holz zum Hof geschleppt habe. Ich mache eine Tour nach der nä chsten und humple den Feldweg hin und wieder zurü ck, bis mir alles weh tut. Ich sage mir jedes Mal, dass ich jetzt das letzte Mal gehe, dass Arnaud den Rest gefä lligst selber machen soll. Aber ich will ihm nicht die Befriedigung gö nnen, mich zu verspotten, weil ich es nicht schaffe. Und die Silberbirke im Wald liegen zu lassen, damit sie verrottet, kommt mir wie Verschwendung oder Vandalismus vor. Ich habe sie gefä llt, dann muss ich sie auch zum Haus bringen.

       Also mache ich weiter, bis alle Klö tze unter einem Anbau auf der Rü ckseite des Hauses aufgestapelt liegen. Erst als ich die Schubkarre zurü ck in den Stall bringe, fä llt mir auf, dass ich meinen Gehstock im Wald liegen gelassen habe. Fast bin ich versucht, nicht extra dafü r zurü ckzulaufen. Ich bin schließ lich den ganzen Nachmittag ohne ausgekommen, und die Wunden auf meinem Fuß heilen recht gut. Aber wenn ich nur daran denke, tut er sofort wieder weh. Auß erdem habe ich mich daran gewö hnt, mich jederzeit auf etwas stü tzen zu kö nnen.

       Nachdem ich den Overall ausgezogen habe, wasche ich mich am Wasserhahn in der Scheune. Das Wasser rinnt zwischen die Pflastersteine und sammelt sich auf dem rauen Beton, ehe es in den immer tiefer werdenden Rissen der Betonoberflä che versickert. Wä hrend ich mich sauber schrubbe, beschließ e ich, bei Gelegenheit mit etwas Mö rtel die Risse zu verschließ en. Das kalte Wasser raubt mir den Atem, aber nicht mal der Block ä tzende, selbstgemachte Seife schafft es, die Schicht aus Ö l und Sä gespä nen zu durchdringen.

       Ich mache weiter, bis meine Haut rot und schrumpelig ist. Dann werfe ich die Seife genervt beiseite. Ich drehe den Wasserhahn zu, ziehe den Overall wieder an und hole saubere Sachen vom Dachboden. Dann gehe ich zum Haus und klopfe an die Kü chentü r.

       Mathilde ö ffnet.

       «Ich kö nnte wirklich ein Bad gebrauchen», erklä re ich ihr erschö pft.

       Ich erwarte, mit ihr diskutieren zu mü ssen, und wenn Arnaud da wä re, wü rde sie mich wahrscheinlich wegschicken. Aber aus dem Innern des Raums kommt kein Protest. Mathilde mustert mich in meinem ö lverklebten Zustand und macht dann einen Schritt beiseite.

       «Komm rein. »

       Die Kü che ist von Essensgerü chen erfü llt. Auf dem gusseisernen Herd brodeln Pfannen, aber bis auf sie ist niemand da.

       «Wo sind die anderen? »

       «Mein Vater ist mit Georges unterwegs, und Gretchen hat Michel mit nach drauß en genommen. Er zahnt wieder. Das Badezimmer ist da vorne. »

       Sie fü hrt mich durch die Tü r am hinteren Ende der Kü che in einen Flur. Es ist dü ster, weder gibt es natü rliches noch elektrisches Licht. Die Treppe ist steil und schmal, mit abgenutztem Teppich auf den Stufen. Ich folge ihr nach oben, halte mich an dem lackierten Holzgelä nder fest und schaue auf meine Fü ß e statt auf Mathildes Beine.

       Es ist das erste Mal, dass ich ü ber die Kü che hinauskomme. Es fü hlt sich merkwü rdig an. Das Haus ist verwohnt, aber sauber. Am Ende der Treppe geht ein Flur nach links und rechts, die Tü ren daran sind alle verschlossen. Ich vermute, dass eine der Tü ren zur Linken zu dem unbenutzten Schlafzimmer gehö rt, in das ich vom Gerü st hatte schauen kö nnen. Aber ich bin nicht sicher, welche es ist, und schon gar nicht weiß ich, was hinter all den anderen ist.

       Mathilde geht den Flur entlang und schiebt eine Tü r am anderen Ende auf. «Hier. »

       Das Badezimmer ist so riesig, dass die alte Badewanne und das Waschbecken darin verloren wirken. Bis auf einen kleinen Vorleger neben der Wanne besteht der Fuß boden nur aus nackten Dielenbrettern. Aber der Raum ist hell und luftig, obwohl das Fenster zu dieser Tageszeit nicht von der Sonne beschienen wird.

       «Du musst zuerst das heiß e Wasser laufen lassen und dann das kalte hinzufü gen», erklä rt sie mir. «Sei vorsichtig. Es wird ziemlich heiß. » Sie schiebt sich eine Strä hne hinters Ohr und sieht an mir vorbei. «Du wirst ein sauberes Handtuch brauchen. »

       «Ist schon okay. »

       «Nein, das ist kein Problem. »

       Sie verschwindet und schließ t leise die Tü r hinter sich. Ich kann mir das auch nur einbilden, aber ich glaube, seit ich ihr Jean-Claudes Nachricht ü bermittelt habe, ist sie mir gegenü ber irgendwie reservierter. Das ist wohl kaum ü berraschend. Mir wä re es natü rlich auch gar nicht recht, wenn Fremde etwas ü ber mein Privatleben wü ssten. Aber trotzdem finde ich es schade.

       Die Badewanne ist ein tiefes, eisernes Monstrum, und die angeschlagene, weiß e Emaille ist von zwei Roststreifen gezeichnet, wo die Mischbatterie tropft. Der Wasserhahn quietscht, als ich ihn drehe, und bringt zunä chst nichts hervor als ein ä chzendes Beben, das aus dem Herzen des Hauses aufzusteigen scheint. Dann schieß t das Wasser in einem Schwall heraus. Als ich den Stö psel in den Abfluss stecke, merke ich, dass Mathilde mit der Wassertemperatur nicht ü bertrieben hat.

       Das Badezimmer fü llt sich rasch mit Wasserdampf. Als ich den Hahn wieder zudrehe, brennt das Metall unter meinen Fingern. Danach lasse ich kaltes Wasser ein. Weil die Wanne so tief ist, muss ich sie zu drei Vierteln fü llen, ehe die Wassertemperatur halbwegs erträ glich ist.

       Ich will die Tü r abschließ en, weil ich weder von Arnaud noch von Gretchen – du lieber Himmel! – beim Baden ü berrascht werden will, doch es gibt zwar Bohrlö cher von einem Riegel, aber keine Mö glichkeit zum Abschließ en. Ich hoffe also einfach, dass Mathilde die beiden daran hindern wird, mich zu stö ren, und ziehe mich aus und setze mich in die Wanne. Die Hitze durchdringt meine schmerzenden Muskeln und Gelenke. Ich stü tze den Fuß auf den Wannenrand, damit der Verband trocken bleibt, und rutsche weiter nach unten, bis ich bis zum Kinn im Wasser liege.

       Das ist pures Glü ck.

       Ich bin gerade wohlig eingenickt, als mich ein Klopfen wieder aufschreckt. Mathildes gedä mpfte Stimme dringt durch die Tü r. «Ich habe dir ein Handtuch geholt. »

       Ich setze mich auf. Auf dem Wasser hat sich vom Kalk ein Schleier gebildet, der es milchig wirken lä sst. «Du kannst reinkommen. »

       Ein Moment Stille, ehe sie die Tü r ö ffnet. Ein Handtuch liegt ü ber ihrem Arm. Ohne herzuschauen, legt sie es auf den alten Holzklappstuhl, der an der Wand steht.

       «Kannst du es dir da hinten holen? »

       «Das passt schon. »

       Die Situation ist uns beiden peinlich. Sie wendet sich zum Gehen.

       «Ich dachte, ich kö nnte vielleicht den Verband abnehmen», sage ich. «Um die Wunden auszuwaschen. »

       «Mach das. »

       Sie schaut dorthin, wo mein Fuß ü ber den Wannenrand hä ngt. Ich warte, weil ich weiß, was als Nä chstes kommt.

       «Warte», sagt sie. «Ich helfe dir. »

       Mathilde setzt sich auf den Wannenrand, und ich hebe den Fuß weiter an, damit sie den Verband abwickeln kann. Das leise Flü stern von Baumwollmull und das gelegentliche Tropfen des Wasserhahns sind die einzigen Gerä usche. Mein Fuß sieht weiß und dü nn aus, fast wie der eines Fremden. Die Wunden, die von dem Treteisen gerissen wurden, sind beinahe vollstä ndig verheilt. Sie sehen immer noch scheuß lich aus, wie schorfige, runzlige Mü nder, sind aber nicht mehr entzü ndet. Die Antibiotika habe ich schon vor einiger Zeit abgesetzt, und die letzte Schmerztablette musste ich nach einem Kater nehmen.

       Mathildes Hä nde sind ganz sanft, als sie sich nach vorne beugt und die Wunden untersucht. Die Baumwolle ihres T-Shirts streichelt meine Zehen.

       «Kö nnen die Fä den bald gezogen werden? », frage ich.

       «Noch nicht. »

       Fü r mich sieht es eigentlich so aus, aber ich vertraue ihrem Urteil. «Wie lange mü ssen sie noch drinbleiben? »

       «Nicht mehr lange. Aber du kannst den Verband jetzt nachts abnehmen. Es wird den Wunden guttun, wenn sie Luft bekommen. »

       Ich lasse den Fuß ins Wasser gleiten, als Mathilde aufsteht. Mein Arm, der auf dem Wannenrand ruht, ist nur wenige Zentimeter von ihrem Oberschenkel entfernt. Wir sehen uns nicht an, aber ich bin plö tzlich sicher, dass sie sich meiner Nä he genauso bewusst ist wie ich mir ihrer.

       «Ich muss mich ums Abendessen kü mmern», sagt sie, aber sie bleibt einfach stehen. Der Wasserdampf scheint uns zu umschließ en und vor dem Rest des Hauses zu verbergen. Ich brä uchte nur meine Hand zu bewegen und kö nnte sie berü hren. Mathildes Kopf ist noch immer abgewandt, aber ihre Lippen sind ganz leicht geö ffnet und ihre Wangen von einer Rö te ü berzogen, die nicht allein von der Hitze kommt. Ich hebe langsam meinen Arm, und als bestü nde zwischen uns eine unsichtbare Verbindung, rü hrt Mathilde sich im selben Moment.

       Sie macht einen Schritt beiseite.

       «Ich werde den Fuß morgen frisch verbinden», sagt sie.

       Ich umfasse den Badewannenrand und stemme mich im Wasser leicht hoch, als hä tte ich genau das die ganze Zeit vorgehabt. «In Ordnung. Danke. »

       Der Wasserdampf wirbelt auf, als die Tü r geö ffnet und geschlossen wird. Sie ist fort. Doch was bleibt, ist ihr Geruch. Ich lasse mich wieder in die Wanne gleiten und tauche den Kopf unter Wasser. Die Stille im Haus wird von dem Unterwasserecho von Klicken und Knacken ersetzt. Mit geschlossenen Augen stelle ich mir vor, wie Mathilde wieder reinkommt. Ich sehe sie ü ber mir stehen.

       Oder Gretchen.

       Oder Arnaud.

       Ruckartig komme ich wieder hoch, und Wasser schwappt ü ber den Badewannenrand. Das Badezimmer ist bis auf meine Hirngespinste leer. Das Wasser ist also nicht das Einzige, was hier vö llig ü berhitzt ist, denke ich.

       Ich nehme das Stü ck Seife und beginne, mich zu waschen.




  

© helpiks.su При использовании или копировании материалов прямая ссылка на сайт обязательна.