Хелпикс

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 KAPITEL 7



       Es ist zu heiß, um auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, nach meiner Audienz bei Arnaud wieder aufs Gerü st zu klettern. Auß erdem ist Essenszeit. Als Mathilde mit dem Tablett nach drauß en kommt, nehme ich meinen Teller mit in den Schatten der Scheune. Ich muss mich abkü hlen, und das in jeder Hinsicht. Ich habe immer noch Schmerzen und frage mich bereits, ob ich nicht besser mein Glü ck auf der Straß e versuchen sollte. Aber mir widerstrebt allein die Vorstellung, und das ist wohl Antwort genug. Das Einzige, was jenseits der Grenzen dieses Landsitzes auf mich wartet, ist Ungewissheit. Ich brauche Zeit, um fü r mich herauszufinden, was ich tun werde. Und wenn das bedeutet, dass ich mich Arnauds Regeln unterwerfen muss, kann ich damit leben.

       Ich habe schon Schlimmeres ü berstanden.

       Zum Mittag gibt es heute Brot mit Tomaten und dazu ein Stü ck dunkle und sehr wü rzige Wurst, von der ich vermute, sie ist hausgemacht. Es gibt auß erdem etwas, das sich bei genauerer Betrachtung als eingelegte Kastanien herausstellt, und zum Nachtisch eine kleine, gelbe Birne. Ich glaube nicht, dass ich seit meiner Ankunft hier etwas gegessen habe, das nicht auf dem Hof gezogen oder produziert wurde.

       Ich esse alles auf und nage die Birne bis zum Stiel und dem harten Inneren ab. Dann lehne ich mich zurü ck und habe Lust auf eine Zigarette. Das wü rzige Essen hat mich durstig gemacht, ich will in die Scheune und ü berquere gerade das rechteckige Stü ck Beton inmitten der Pflastersteine, als meine Krü cke in einem tiefen Riss stecken bleibt. Nicht genug Zement, denke ich und kratze mit der Krü cke an den brö ckelnden Rä ndern herum. Wenn das derselbe Bauarbeiter gemacht hat, der auch die Arbeiten am Haus zu verantworten hat, hat er in beiden Fä llen ziemlich schlecht gearbeitet.

       Ich drehe den Wasserhahn auf und trinke aus der hohlen Hand. Das Wasser ist kalt und sauber, und ich spritze etwas davon in mein Gesicht und meinen Nacken. Danach wische ich es mir aus den Augen und verlasse die Scheune. Dabei stoß e ich fast mit Gretchen zusammen.

       «Entschuldige, ich hab dich nicht gesehen», sage ich.

       Sie lä chelt. Sie trä gt ein knappes T-Shirt und eine abgeschnittene Jeans, die so kurz ist, dass mich wundert, dass Arnaud sie so rumlaufen lä sst, und hat einen Plastikeimer in der Hand. Der Springer Spaniel, der sie ü berallhin begleitet, wuselt mit wedelndem Schwanz um meine Fü ß e. Ich kraule ihn hinter den Ohren.

       «Ich bringe ein paar Kü chenabfä lle zu den Sanglochons. Aber ich glaube, ich hab den Eimer zu voll gemacht. » Sie hä lt ihn mit beiden Hä nden und tut so, als wä re er echt schwer. «Sie kö nnten mir helfen, wenn Sie sonst nichts zu tun haben. »

       Ich versuche, mir eine plausible Entschuldigung auszudenken. Die Warnung ihres Vaters haftet mir noch frisch im Gedä chtnis, und ich bin nicht sicher, wie ich mit der Krü cke den Eimer so weit tragen soll. Gretchen grinst breit und lä sst die Grü bchen aufblitzen.

       «Bitte! Er ist echt schwer. »

       Sie besteht darauf, dass wir den Eimer gemeinsam zwischen uns tragen, jeder mit einer Hand am Henkel. Nachdem wir so mü hsam ein paar Meter hinter uns gebracht haben und Gretchen dabei stä ndig kichert, verliere ich die Geduld und trage den Eimer alleine. Er ist nicht annä hernd so schwer, wie sie es hat aussehen lassen, aber jetzt ist es zu spä t. Ich hoffe, dass Arnaud keinen Anstoß daran nimmt, schließ lich helfe ich, seine Schweine zu fü ttern.

       «Lassen Sie sich jetzt einen Bart stehen? », fragt Gretchen. Wir folgen dem Feldweg zwischen den Rebstö cken.

       Ihre Frage macht mich verlegen, denn ich bin mir der Bartstoppeln durchaus bewusst. «Eigentlich nicht. Ich hab mich nur nicht rasiert. »

       Gretchen neigt den Kopf und lä chelt, wä hrend sie nachdenkt. «Darf ich mal anfassen? »

       Bevor ich etwas sagen kann, streckt sie die Hand aus und streichelt meine Wange. Der Geruch nach verbranntem Karamell steigt von ihrem von der Sonne aufgeheizten Arm auf. Ihre Grü bchen vertiefen sich noch mehr, als sie die Hand wieder sinken lä sst.

       «Das passt zu Ihnen. Gefä llt mir. »

       Der Hund stü rmt voran, als wir den Kastanienwald erreichen. Gretchen nimmt einen schmalen Pfad, der vom Feldweg abzweigt. Er fü hrt zwischen den Bä umen zu einer Lichtung, auf der aus Draht und unbehandelten Holzbohlen ein groß er Pferch errichtet ist. Etwas abseits steht eine unschö ne Hü tte aus Betonziegeln, aber Gretchen geht daran kommentarlos vorbei und steuert direkt den Pferch an.

       Die Luft ist auf der Lichtung erfü llt vom Summen der Fliegen. Der Ammoniakgestank ist so beiß end, dass es in meinen Nebenhö hlen weh tut. Etwa ein Dutzend Tiere liegt ausgestreckt auf dem aufgewü hlten Erdreich. Das einzige Anzeichen von Leben ist das gelegentliche tiefe Grunzen oder das Zucken eines Ohrs. Sie ä hneln keinem Schwein, das ich bisher gesehen habe. Sie sind riesig und mit einem rauen, borstigen Pelz ü berzogen. Unter Wellblechdä chern liegen sie zusammengekauert, als hä tte jemand sie in den Dreck geworfen.

       Gretchen ö ffnet ein Tor im Zaun und betritt das Gehege. «Wo ist Georges? », frage ich und schaue unbehaglich zu den sich sonnenden Viechern. Von dem Alten ist nichts zu sehen.

       «Er geht nachmittags immer zum Essen nach Hause. » Sie hä lt fü r mich das Tor offen. «Kommen Sie nicht mit? »

       «Ich glaube, ich warte lieber hier. »

       Sie lacht. «Die tun Ihnen nichts. »

       «Ich bleibe trotzdem lieber drauß en. »

       Mir ist immer noch ein bisschen unwohl, hier zu sein. Aber mit dem Eimer den ganzen Weg hierherzuhumpeln hat mich ermü det. Ich muss erst wieder zu Atem kommen, bevor ich mich an den Rü ckweg mache. Gretchen nimmt den Eimer – der offensichtlich nicht mehr so schwer ist – und schiebt den Hund zurü ck, der versucht, durch das Tor in den Pferch zu gelangen. Sie geht zu dem Trog, und ein paar Schweine heben den Kopf und grunzen fragend, als sie den Eimer in den Trog leert. Aber nur ein, zwei Schweine machen sich die Mü he, aufzustehen und hinü berzutrotten. Mich erfü llt die Grö ß e dieser Viecher mit Ehrfurcht. Riesige Fleischberge, die auf lä cherlich schmalen, dü rren Beinen balancieren. Ein Pferderumpf auf Cocktailspieß en.

       Gretchen kommt wieder heraus und schließ t das Tor hinter sich.

       «Was hast du gesagt, sind das fü r Tiere? », frage ich.

       «Sanglochons. Wildschweine mit schwarzen Hausschweinen gekreuzt. Papa zü chtet sie schon seit Jahren, und Georges verkauft fü r uns das Fleisch in der Stadt. Es ist sehr beliebt. Viel besser als das gewö hnliche Schweinefleisch. »

       Eines der Tiere kommt zum Zaun geschlendert. Gretchen hebt eine runzlige Rü be, die unter dem Zaun durchgekullert ist, vom Boden auf und wirft sie wieder ins Gehege. Das Schwein zermalmt sie mü helos. Allein der Anblick lä sst meinen Fuß wieder schmerzen.

       Aber Gretchen ist vö llig sorglos. Sie krault das Sanglochon hinter den Ohren, wä hrend es mit gesenktem Kopf nach noch mehr Futter schnü ffelt. Der Schwung seines Mauls lä sst es so aussehen, als wü rde das Schwein dü mmlich grinsen.

       «Macht es dir nichts aus? », frage ich. «Dass sie getö tet werden, meine ich. »

       «Warum sollte es? » Sie klingt ehrlich verwirrt. Ihre Hand kratzt die harten Borsten auf dem Kopf des Schweins. «Sie kö nnen es auch streicheln, wenn Sie wollen.

       «Nein danke. »

       «Es beiß t nicht. »

       «Ich glaub’s dir auch so. » Ich habe schon vorhin ein kleineres Gehege bemerkt, das etwas abseits von dem groß en Pferch errichtet ist. Es sieht leer aus bis auf einen mit Wellblech ü berdachten Unterstand. «Was ist da drü ben? »

       Gretchen richtet sich auf und reibt ihre Hä nde aneinander, als sie rü bergeht. Einige der Bretter im Zaun sehen neu aus.

       «Da hä lt Papa seinen Wildschweinkeiler. »

       «Wenn du das so sagst, klingt es, als wä re er sein Haustier. »

       Sie verzieht das Gesicht. «Das ist kein Haustier. Er ist schrecklich, und ich hasse ihn. »

       «Warum? »

       «Er hat einen schlechten Charakter. Georges ist der Einzige, der mit dem Vieh umgehen kann. Mich hat es sogar mal gebissen. » Sie streckt das gebrä unte Bein aus und verdreht es etwas, damit ich sehen kann, wo die glatte Haut ihrer Wade von einer weiß en Narbe verunstaltet ist. Sie lä chelt. «Fü hl mal. Ist ganz rau. »

       «Auch das glaube ich dir aufs Wort. » Ich werde auf keinen Fall mit ihr flirten. Selbst wenn sie nicht Arnauds jü ngere Tochter wä re, hat Gretchen eine Art an sich, die mich dazu bringt, lieber auf Distanz zu bleiben. «Wenn das so ein wildes Vieh ist, wieso bringt dein Vater es dann nicht um? »

       Sie lä sst das Bein sinken. «Er braucht ihn fü r die Zucht. »

       «Kann er keinen anderen bekommen? »

       «Die sind teuer. Auß erdem mag Papa diesen hier. Er sagt, der tut immer, was man von ihm verlangt. »

       Als wä re das sein Stichwort gewesen, dringt ein Laut aus dem Pferch. Gretchen dreht sich um.

       «Er hat uns gehö rt. »

       Einen Moment lang glaube ich, sie meint Arnaud, aber dann begreife ich, dass sie ü ber den Eber spricht. Im Unterstand entsteht eine schattengleiche Bewegung. Die Spitze einer Schnauze taucht auf. Gretchen hebt eine Handvoll Erde auf und wirft sie auf das Wellblechdach, wo die Brocken laut niederprasseln.

       «Schwein! Komm schon raus, Schwein! »

       Kein Wunder, dass es aggressiv ist, denke ich. Eine zweite Handvoll Dreck folgt der ersten. Aus dem Innern grollt ein wü tendes Knurren, und dann bricht der Eber aus dem Unterstand.

       Er ist sogar noch grö ß er als die Sauen. Und hä sslicher. Kleine Hauer ragen aus seinem Unterkiefer, und Ohren so groß wie Ampferblä tter schlappen ü ber seine Augen, als er mich kurzsichtig anblinzelt und zu ergrü nden versucht, wer wir sind. Dann greift er an.

       «Himmel! », rufe ich und hü pfe rü ckwä rts, als der Keiler gegen den Zaun kracht. Meine Krü cke rutscht ab, und ich lande hart mitten in einer eingetrockneten Schlammpfü tze auf dem Hosenboden. Ich versuche, die Krü cke wieder unter meinen Kö rper zu bekommen, als der Zaun erneut erzittert. Gretchen hat sich nicht gerü hrt. Sie hat einen langen Stecken gefunden, und als der Keiler sich erneut gegen den Zaun wirft, sticht sie ü ber den Zaun hinweg damit auf ihn ein.

       «Weg mit dir, Schwein! Weg! »

       Der Keiler quiekt, auß er sich vor Wut. Der Spaniel beginnt, aufgeregt neben Gretchen herumzuhü pfen, wä hrend sie den Rü cken des Keilers mit dem Stock bearbeitet. Ihre Schlä ge prallen auf das feste Fleisch, aber sie scheinen nicht viel auszurichten gegen dieses Biest.

       «Ich wü rde das lieber nicht tun», melde ich mich zu Wort.

       «Ich ä rgere ihn doch nur. »

       «Ich glaube nicht, dass das fü r ihn besonders lustig ist. » Der Eber knallt immer wieder gegen den Zaun und versucht, zu dem bellenden Hund zu kommen. Der Zaun erbebt und ä chzt unter dem Ansturm. Kein Wunder, dass Georges ihn reparieren musste. «Komm schon, lass ihn einfach in Ruhe. »

       Gretchen mustert mich ü berheblich. Sie ist ganz auß er Atem. «Was hat das hier denn mit Ihnen zu tun? Ist doch nicht Ihr Schwein. »

       «Nein, aber ich glaube nicht, dass es deinem Vater gefä llt, wenn du seinen prä mierten Zuchtkeiler zusammenschlä gst. »

       Sie funkelt mich wü tend an, den Stock halb erhoben. Fü r einen Moment glaube ich tatsä chlich, sie kö nnte ihn auch gegen mich erheben. Aber dann tuckert eine rostiger, alte Ente aus dem Wald und rollt auf die Lichtung. Direkt vor den Gehegen kommt sie zum Stehen, und Georges steigt aus. Er ist wirklich ziemlich klein. Sein Gesicht ist zu einer Fratze der Missbilligung erstarrt, als er zu uns herü berkommt.

       Er streift mit einem Blick den Eber, der weiter den Zaun angreift. Diesmal bin sogar ich ihm einen flü chtigen Blick wert, ehe er Gretchen anspricht. «Was ist hier los? »

       Trotzig schaut sie zu Boden. «Nichts. »

       «Und warum ist der Keiler dann so aufgebracht? Was hatte der Hund vor seinem Gehege zu suchen? »

       Gretchen zuckt mit den Schultern. «Der will nur spielen. »

       Er presst die Lippen aufeinander. «Du sollst den Hund doch nicht mit hierherbringen. »

       «Das haben wir nicht. Sie ist ausgerissen. »

       Georges sieht nur sie an. Ich bin nicht besonders glü cklich, dass sie mich zum Komplizen ihrer Lü ge macht, aber ich widerspreche nicht. Und es ist auch nicht so, dass ihn ü berhaupt interessiert, was ich zu sagen hä tte.

       «Du sollst den Hund nicht mit hierherbringen», wiederholt er. Dann geht er an uns vorbei zu dem Gehege. Der Keiler schnappt nach ihm, als er ü ber den Zaun greift, aber dann verraucht seine Wut, und er lä sst sich am Kopf kraulen. Ich kann hö ren, wie Georges beruhigend auf das Tier einredet, ohne dass ich verstehen kö nnte, was genau er sagt.

       Hinter seinem Rü cken verzieht Gretchen das Gesicht zu einer Grimasse. «Kommen Sie. Wir dü rfen Georges’ wertvolle Schweine nicht verä rgern. »

       Wü tend schlä gt sie nach dem Unterholz, als wir die Lichtung verlassen. «Der ist wie ein altes Weib. Alles, was ihn interessiert, sind diese dä mlichen Schweine. Er stinkt sogar wie sie, ist Ihnen das aufgefallen? »

       «Eigentlich nicht. » Es war mir tatsä chlich aufgefallen, aber ich werde mich jetzt nicht mit ihr verbrü dern. Es war von Anfang an keine gute Idee, sie zu begleiten, und ich will jetzt nur noch zurü ck zum Haus, ehe Arnaud uns zusammen sieht.

       «Das liegt am Essig, mit dem er sie einreibt», fä hrt sie ungerü hrt fort. «Er behauptet, damit wird ihre Haut vor der Sonne geschü tzt, aber eigentlich stinkt er danach nur so schlimm wie sie. »

       Nicht bloß Georges. Als wir uns der Scheune nä hern, erkenne ich, dass ein gewisser Duft uns von den Gehegen herbegleitet hat.

       «Was ist das fü r ein Geruch? », fragt Gretchen und schnuppert.

       Ich schaue auf die Flecken auf meiner Jeans und meinen Hä nden. «Oh Scheiß e …»

       «Sie stinken ja noch schlimmer als Georges! », lacht sie und weicht vor mir zurü ck.

       Sie hat recht, aber wenigstens wird sie auf diese Weise nicht ermutigt, sich lä nger in meiner Nä he aufzuhalten. Ich warte, bis sie wieder im Haus verschwunden ist, ehe ich mein T-Shirt ausziehe. Ich verziehe angewidert das Gesicht und gehe in die Scheune, um mich zu waschen.

           

       Der Gestank nach Sanglochon klebt hartnä ckig in meiner Nase, als ich den Innenhof ü berquere und an das Gerü st trete. Die Sonne hat in der Stunde, seit Gretchen und ich zurü ckgekommen sind, ihre Kraft eingebü ß t, aber ü ber dem Pflaster flirrt noch immer die Hitze. Bis in die kleine, feuchte Kammer dringt die Wä rme allerdings nicht vor. Nach der blendenden Helligkeit im Hof habe ich das Gefü hl, eine Krypta zu betreten. Ich blockiere die Tü r mit einem Sandsack, damit sie nicht zufä llt, und warte, bis die Schatten im Innern Formen annehmen, ehe ich die Kammer betrete.

       Es hat schon etwas Unheimliches, wie hier alles einfach stehen gelassen wurde. Die Mö rtelkelle im versteinerten Beton, die verstreut herumliegenden Werkzeuge und Materialien – das alles erinnert mich an eine archä ologische Fundstelle. Als meine Augen sich an das Dunkel gewö hnt haben, greife ich hinter die Tü r und nehme dort vom Haken, wonach ich eigentlich gesucht habe.

       Der Overall ist rot – oder war es zumindest irgendwann mal. Jetzt ist er mit getrocknetem Mö rtel, Dreck und Ö l verkrustet. Mathilde hat gesagt, ich solle mir alles nehmen, was ich brauche. Meine Haut kribbelt bei dem Gedanken, den Overall zu tragen, aber immerhin wird er mich vor der Sonne schü tzen. Und er ist zwar verdreckt, aber wenigstens stinkt er nicht nach Schweinemist.

       Ich lehne meine Krü cke gegen die Wand, ziehe mich bis auf die Shorts aus und streife dann den Overall ü ber. Die feuchte Baumwolle fü hlt sich unangenehm klamm an und riecht schal nach altem Schweiß. Obwohl er etwas zu gerä umig ist, passt er gar nicht so schlecht, weshalb ich vermute, dass er dem frü heren Bauarbeiter gehö rt hat. Fü r Arnaud sind die Hosenbeine zu lang, und Georges wü rde in eine der Taschen passen.

       Ich durchsuche die Taschen, als ich wieder nach drauß en trete. Ich finde ein Paar Arbeitshandschuhe aus Leder, die so steif und gekrü mmt sind, dass sie mich an amputierte Hä nde erinnern. Ich lege sie ebenso beiseite wie einen Bleistiftstumpf und einen kleinen Notizblock, der mit gekritzelten Zeichnungen und Maß en gefü llt ist. Das scheint alles zu sein. Aber dann, als ich die Taschen noch einmal abklopfe, finde ich noch etwas anderes.

       Ein Kondom, das noch eingeschweiß t ist. Nicht unbedingt das, was ich in einem Arbeitsoverall zu finden erwartet habe. Ich schaue zu dem Vorratsraum zurü ck, als mir etwas einfä llt. Vorher habe ich darü ber noch nicht nachgedacht, aber jetzt frage ich mich, ob ein Zusammenhang zwischen dem unvollendeten Haus und Michels abwesendem Vater besteht. Das wü rde Mathildes merkwü rdiges Verhalten vorhin erklä ren und ebenso Gretchens Reaktion unten am See. Sie hat mir erzä hlt, Michels Vater hä tte sie alle betrogen und hä ngenlassen.

       Vielleicht traf das in mehr als nur einer Hinsicht zu.

       Ich lasse das Kondom in einer Ecke der Kammer liegen, klemme mir die Krü cke unter den Arm und steige das Gerü st hoch. Die Leitersprossen sind heiß genug, dass meine Hä nde davon schmerzen, und auf der oberen Plattform ist es wie in einem Brennofen. Es gibt keinen Schatten, und ich bin schon jetzt dankbar fü r die langen Ä rmel des Overalls. Mir kommen wieder Zweifel, als ich die zerbrö ckelnde Wand untersuche. Ich nehme den Vorschlaghammer und den Meiß el zur Hand, bevor ich darü ber nachdenken kann, was ich da tue.

       «Also dann», mache ich mir Mut und schwinge den Hammer.

       Es hat etwas Zenartiges, den alten Mö rtel aus den Fugen zu hacken. Die Arbeit ist anstrengend, und die stä ndige Wiederholung derselben Bewegung ist hypnotisierend. Jeder Schlag lä sst einen klaren Ton erklingen. Wenn man den richtigen Rhythmus findet, scheint der Meiß el zu singen und schickt jeden weiteren Ton in die Luft, ehe der vorhergehende verstummt ist.

       Es ist sogar richtig entspannend.

       Ich muss innehalten und durchatmen, aber schon bald finde ich ein Tempo, das ich bewä ltigen kann. Ich umgehe das Problem mit meinem verletzten Fuß, indem ich ein paar von den losen Ziegeln ü bereinanderstaple und mein Knie darauf ablege. Manchmal setze ich mich auch drauf und arbeite so. Der Verband wird schmutzig dabei, aber das kann ich nicht ä ndern.

       Eigentlich will ich an meinem ersten Tag nicht so lange arbeiten, aber ich verliere jedes Zeitgefü hl. Erst als ich meine Arbeit unterbreche, um einen Mö rtelkrü mel aus dem Auge zu blinzeln, bemerke ich, wie tief die Sonne schon steht. Der Nachmittag ist unbemerkt verstrichen.

       Nun, wo ich pausiere, beginnen verschiedene Beschwerden sich bemerkbar zu machen. Meine Arme und Schultern schmerzen, und ich habe eine beeindruckende Ansammlung von Blasen an der Hand, mit der ich den Hammer fü hre. Auß erdem habe ich auf dem Handrü cken einen bunten Bluterguss, das Ergebnis eines Schlags, bei dem ich den Meiß el verfehlt habe.

       Das macht mir nichts aus. Ehrliche Arbeit, ehrlicher Schmerz. Aber ich muss meine Uhr auch erwischt haben, denn ü ber das Ziffernblatt verlä uft ein Riss. Der Anblick ist fü r meine Stimmung wie eine Ohrfeige. Sie geht noch, aber ich nehme sie trotzdem ab und stecke sie in die Tasche. Die Uhr ist eine unangenehme Erinnerung an Dinge, die ich lieber vergessen wü rde. Auß erdem brauche ich die Uhrzeit nicht zu wissen, solange ich hier bin. Der Hof gehorcht seinem eigenen Rhythmus. Ich nehme die Baseballkappe von meinem verschwitzten Kopf und betrachte, was ich bisher erreicht habe. Der frisch ausgehackte Mö rtel ist heller als die ä lteren Teile, aber der Bereich ist entmutigend klein, verglichen mit der Grö ß e der Wand, die mir noch bleibt. Immerhin habe ich einen Anfang gemacht. Das fü hlt sich erstaunlich gut an.

       Ich lasse den Hammer und den Meiß el auf der Plattform liegen und klettere langsam die Leiter hinunter. Die immer noch heiß en Sprossen schmerzen besonders an den Blasen, und jeder Schritt kostet mich Ü berwindung. Fü r ein Bier kö nnte ich morden, denke ich und humple in den Lagerraum, um meine Sachen zu holen. Eine Flasche – bernsteinfarben und mit Kondenswasser beschlagen. Ich kann es fast schmecken.

       Von Durst gequä lt, trete ich wieder in den Hof. Ich bemerke Mathilde nicht, bis ich hö re, wie Geschirr zu Bruch geht. Ich drehe mich um und sehe sie mit Michel auf dem Arm in der Tü r stehen. Zu ihren Fü ß en liegt eine zerbrochene Schü ssel mit kaputten Eiern. Die hellgelben Dotter verschmieren die Steine.

       Sie starrt mich mit bleichem Gesicht an. «Tut mir leid. Habe ich dich erschreckt? », frage ich.

       «Nein, ich … Ich habe einfach nicht mehr daran gedacht, dass du da bist. »

       Ihr Blick gleitet zu dem roten Overall, den ich anhabe, und ich glaube, ich verstehe, was los ist. «Da oben ist kein Schatten, darum habe ich mir gedacht, ich ziehe den lieber an. Ich hoffe, das ist in Ordnung? »

       «Natü rlich! », sagt sie zu schnell.

       Ich wollte sie nicht erschrecken, aber ich wusste ja nicht, dass ich sie im Overall erschrecken wü rde. Ihre Reaktion bestä tigt meine Vermutung ü ber Michels Vater, aber sie hat ihre Selbstbeherrschung schon zurü ckerlangt. Das Baby kaut zufrieden auf einem Stü ck Brot herum, und sie hievt es in eine etwas bequemere Position.

       «Wie geht es mit der Arbeit voran? »

       «Gut. Also, es geht. » Ich zucke mit den Schultern und versuche von hier unten die Stelle auszumachen, die ich bearbeitet habe. Sie ist kaum zu erkennen. «Ich habe zumindest angefangen. »

       Mathilde streckt die Hand nach dem Bü ndel Kleider aus. «Mö chtest du, dass ich die fü r dich wasche? »

       «Danke. » Ich protestiere nicht. Unter dem kalten Wasser in der Scheune wird der Gestank nach Sanglochon nicht verschwinden, und mich dort zu waschen, finde ich auch nicht besonders reizvoll. Kurz bin ich versucht sie zu bitten, ob ich eine Dusche oder ein Bad nehmen darf, aber ich kann mir nur zu gut vorstellen, was Arnaud dazu sagen wird. Und wenn ich schon kein heiß es Bad und kein kaltes Bier haben kann, gä be es da immerhin noch eine Sache, um die ich sie bitten kö nnte.

       «Du hast vorhin von einer Tankstelle gesprochen, wo ich Zigaretten kaufen kann. Wie weit ist das von hier? »

       «Ein paar Kilometer. Zu weit fü r dich, um zu Fuß zu gehen. »

       «Das ist mir egal. Ich lasse mir Zeit. »

       Es ist ja nicht so, als hä tte ich sonst viel zu tun. Der Endorphinrausch verebbt langsam, und meine Nerven beginnen bereits zu zittern. Es wird schlimmer, wenn ich weiß, dass ich dieses Beben nicht mit einer Zigarette beruhigen kann.

       Mathilde schaut zum Haus hinü ber, als mü sse sie mit sich ringen. Sie schiebt eine Haarsträ hne hinter das Ohr.

       «Gib mir eine halbe Stunde. »


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