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Günter Kunert. Mann über Bord ⇐ ПредыдущаяСтр 2 из 2 Gü nter Kunert Mann ü ber Bord Der Wind wehte nicht so stark. Bei einem Schlingern des Schiffes verlor der Matrose, angetrunken und leichtfertig tä nzeld, das Gleichgewicht und stü rzte von Deck. Der Mann am Ruder sah den Sturz und gab sofort Alarm. Der Kapitä n befahl, ein Boot auf das mä ß ig bewegte Wasser herabzulassen, den langsam forttreiben -den Matrosen zu retten. Die Mannschaft legte sich krä ftig in die Riemen, und schon nach wenigen Schlä gen erreichten sie den um Hilfe Rufenden. Sie warfen ihm einen Rettungsring zu, an den er sich klammmerte. Im nä her schaukelnden Boot richtete sich im Bug einer auf, um den im Wasser Treibenden herauszufischen, doch verlor der Retter selbst den Halt und fiel in die Fluten, wä hrend eine ungeahnte hohe Woge das Boot seitlich unterlief und umwarf. Der Kapitä n gab Anweisung, auf die Schwimmenden und Schreienden mit dem Dampfer zuzufahren. Doch kaum hatte man damit begonnen, erschü tterte ein Stoß das Schiff, das sich schon zur Seite legte, sterbensmü de, den stä hlernden Kö rper aufgerissen von einem zackigen Korallenriff, das sich knapp unter der Oberflä che verbarg. Der Kapitä n versackte wie ü blich mit dem tö dlich verwundeten Schiff. Er blieb nicht das einzige Opfer: Haie nä herten sich und verschlangen, wen sie erwischten. Wenige der Seeleute gelangten in die Rettungsboote, um ein paar Tage spä ter auf der unü bersehbaren Menge salziger Flü s -sigkeit zu verdursten. Der Matrose aber, der vom Dampfer gestü rzt war, geriet unversehrt in eine Drift, die ihn zu einer Insel trug, auf deren Strand sie den Erschö pften warf; dort wurde er gefunden, gepflegt, gefeiert als der einzig Ü berlebende der Katastrophe, die er als die Folge einer Kesselexplosion schilderte, welche ihn weit in die Lü fte geschleudert habe, so daß er aus der Hö he zusehen konnte, wie die Trü mmer mit Mann und Maus versanken. Von dieser Geschichte konnte der einzig Ü berlebende auf jener Insel trefflich leben; Mitleid und das Hochgefü hl, einen seines Schicksals zu kennen, ernä hrten ihn. Nur schien den Leuten, daß sein Verstand gelitten haben muß te: Wenn ein Fremder auftauchte, verschwand der Schiffbrü chige, erblassend und zitternd und erfü llt von einer Furcht, die keiner deuten konnte: ein stetes Geheimnis und daher ein steter Gesprä chsstoff fü r die langen Stunden der Siesta.
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